Nur Privat ?!
Meine langjährige Erfahrung in meiner kassenärztlichen Praxis für Kinder und Jugendliche in Knittlingen (von 1998 bis 2018) gibt mir die Basis für folgende Aussagen:
Das System der Basisversorgung durch Kassenärzte in Deutschland ist schwer krank. Und das sind die Gründe dafür:
Die Bedarfsplanung für kassenärztliche Praxen lässt veränderte Lebensstile mit starker Zunahme von chronischen und psychiatrischen Erkrankungen (auch unter Kindern) komplett außer Acht.
Dies bedingt einen kaum zu bewältigenden Termindruck in den vorhanden Praxen.
Daraus folgen wiederum sehr kurze Termintaktungen, die oftmals keine Zeit lassen, auf die Patientenbelange in befriedigender und zielführenden Weise einzugehen.
Effekt ist statt Heilung und Vorsorge, die Verwaltung von Krankheiten und Stabilisierung von krankmachenden Gewohnheiten.
So entsteht Frust auf Seiten der Patienten über geringe oder ausbleibende Therapieerfolge. - Aber eben auch auf Seiten der behandelnden Ärzte: Diese sind neben dem geschilderten Termindruck gebunden an eine Vielzahl von Vorschriften und Verpflichtungen durch die Gesundheitspolitik (institutionalisiert in den kassenärztlichen Vereinigungen und gesetzlichen Krankenkassen), die quartalsweise zunehmen und auch laufend kontrolliert werden. Insbesondere Regressforderungen der Krankenkassen gegenüber Ärzten bei Überschreitung von Verordnungsmengen in den Bereichen Medikamente und Heil- und Hilfsmitteln (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) bergen existentielle Ängste. - Seit Jahren liegen Ärzte an der traurigen Spitze bei der Ausprägung von depressiven Störungen, Suchterkrankungen und Suiziden.
Das Vergütungssystem im Kassenarztbereich beruht im Wesentlichen auf einer einmaligen Zahlung pro Patient und Quartal ( 1 Quartal besteht aus 3 Monaten), diese liegt bei Kinderärzten stark schwankend zwischen 35 und 40 €. Für diesen Betrag ist der Kassenarzt verpflichtet, den Patienten innerhalb eines Quartals so oft zu behandeln, wie dieser Termine einfordert. Im kinderärztlichen Bereich wird jedes Kind durchschnittlich zweimal pro Quartal vorgestellt. Pro Behandlung wird also ein Umsatz von 20 € erzielt. Für eine wirtschaftliche Praxisführung wird vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ein Umsatz / Arbeitsstunde von 150 € angestrebt. Unter Annahme einer 40-Stunden-Woche werden pro Quartal 360 Arbeitsstunden geleistet. Wenn tatsächlich ein Umsatz von 150 € / Arbeitsstunde generiert werden, errechnet sich daraus ein Quartalsumsatz von (360 x 150) = 54000 €. Um diesen zu erzielen sind pro Quartal die Versorgung von 1542 Patienten anzustreben. Wenn jeder dieser Patienten durchschnittlich zweimal / Quartal zur Untersuchung kommt, hat der Arzt 3085 Termine zu absolvieren. Bei 360 Arbeitsstunden ( entsprechend 21600 Arbeitsminuten) pro Quartal bleiben pro Termin (21600 : 3085 =) 7 Minuten Behandlungszeit. Und diese Rechnung ist ohne jede Pause gemacht ! Unschwer zu erkennen, dass diese Arbeitsanforderungen, - zudem über viele Jahre erbracht, nicht funktionieren kann. Möglich ist die Aufrechterhaltung der kassenärztlichen Arbeit nur durch die Tatsache, dass ca. 10 % aller Patienten privatversichert sind. Diese Patienten ermöglichen durch die deutlich bessere Vergütung (denn jeder Termin wird bezahlt) es dem Arzt, die Zahl der Kassenpatienten deutlich zu reduzieren und damit Zeit zu gewinnen, von der alle Patienten und er selber profitiert. Kurzum: Ohne Privatpatienten auch keine kassenärztliche Versorgung !
Aus dem oben Beschriebenen wird klar: Befriedigend hinsichtlich ärztlicher Versorgung des Patienten aber auch für die notwendige work-life-balance des Arztes gibt es derzeit nur den Ausweg der ausschließlichen privatärztlichen Betätigung ! Schweren Herzens habe ich mich deshalb dafür entschieden, diese Möglichkeit für den letzten Abschnitt meines Berufslebens zu nutzen.